Viel haben wir erreicht, viel bleibt noch zu tun

06.05.2014

Rede von Fabian Molina zum Tag der Arbeit 2014
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Anwesende
Als der Gründerkongress der Zweiten Internationalen vor 125 Jahren den 1. Mai im Gedenken an die brutale Niederschlagung der Arbeiterinnen- und Arbeiterproteste am Haymarket in Chicago zum internationalen Kampftag der Arbeiterbewegung erhob, taten dies unsere Vorkämpferinnen und Vorkämpfer im Bewusstsein, dass die grosse Mehrheit der Auseinandersetzungen, die der Arbeit ihren Wert und den Arbeiterinnen und Arbeitern ihre Würde geben sollen, noch zu führen sein würden. Sie taten es, um regelmässig, einmal pro Jahr, international für den Kampf der Menschen für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zu mobilisieren. Um den Menschen Mut zu machen und Hoffnung zu geben. Um klar zu machen, dass wir für eine globale, weltumspannende Gesellschaft für alle kämpfen. Damit und mit vielem mehr waren sie ihrer Zeit weit voraus. So hoben sie bereits damals, vor den zwei Weltkriegen, ausdrücklich den Frieden hervor und unterstrichen, zu einer Zeit, als in Europa die Mehrheit der Länder das Frauenstimmrecht noch nicht einmal angedacht hatten, die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit – auch für Frauen – als zentrales Ziel der Bewegung hervor.
Wenn wir aber heute den Tag der Arbeit begehen, so tun wir es im Wissen darum, dass die Idee des ersten 1. Mais grundsätzlich nichts an Aktualität verloren hat.
Die Machtkonzentration in den Händen einiger weniger Herren und Konzerne hat seit Ende des 19. Jahrhunderts verglichen mit heute kaum abgenommen. 1 Prozent der Weltbevölkerung kontrolliert annähernd die Hälfte aller Vermögenswerte, in der Schweiz sogar die Mehrheit des Vermögens. Die Löhne oben, das sagt die dieser Tage publizierte Lohnstrukturanalyse des Bundes, sind von 2002 bis 2012 um 22,5 Prozent gestiegen, die Löhne der Top-Manager sind geradezu explodiert. Die Löhne der unteren 10 Prozent der Arbeitnehmenden sind gleichzeitig stagniert, kaufkraftbereinigt haben sie sogar im Schnitt 286 Franken weniger im Sack. Ein himmelschreiender Skandal! Dies ist aber nur Ausdruck eines zutiefst undemokratischen Wirtschaftssystems, in welchem selbst die Arbeit besessen wird und die Wirtschaft als solche in den Händen von wenigen ist.
Europa befindet sich momentan in einer tiefen Krise. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt in manchen Ländern mehr als 50 Prozent. Es sind die jungen Menschen in Spanien, Portugal und Griechenland, die nach der Schulzeit in Langeweile, Armut und Unsicherheit aufwachsen. Die sich dem Erbe des 1. Mais nicht mehr bewusst sind, weil das Erbe aufgebraucht und kaputt ist. Diese Krise haben wir einem fundamentalen Mangel an Demokratie zu verdanken. Einem Mangel, der so gravierend ist, dass wir nicht nur keinerlei Einfluss mehr auf die grossen Konzerne und Banken haben, sondern dass sich auch die politischen Institutionen derart weit von den Menschen entfernt haben, dass sich in keiner Weise die Interessen der grossen Mehrheit der Menschen durchsetzen. Eine Demokratie, in der sich die Interessen der grossen Mehrheit systematisch nicht durchsetzen, ist völlig unvollendet und muss reformiert werden. Sie muss so erweitert werden, dass nicht nur das Eigentum an den gesellschaftlich relevanten Produktionsmitteln beschränkt und damit demokratisiert – wirtschaftsdemokratischer – wird, sie muss auch wieder näher zu den Menschen. Nur wenn ich nicht nur beim Fussgängerstreifen in meiner Nachbarschaft sondern auch bei meinem Lohn mitentscheiden kann, ist die Demokratie wirklich demokratisch. Diese Herausforderung, die Herausforderung die Wirtschaft demokratischer zu machen, müssen wir jetzt, nach 125 Jahren mit aller Entschlossenheit angehen. Sie ist die grösste uneingelöste Herausforderung der letzten 100 Jahre.
„Der Friede ist die erste und unerlässliche Bedingung jeder Arbeiterbewegung,“ erklärten die Gründerinnen und Gründer des 1. Mai. Sie hatten Recht. Dennoch ist heute der Friede auf der Welt auch nach den beiden grossen Katastrophen des 1. und 2. Weltkrieges nicht realisiert. Europa ist grösstenteils befriedet. In vielen Teilen der Welt toben nach wie vor kriegerische oder gewalttätige Auseinandersetzungen. Diese Konflikte, diese Gewalttaten, betreffen uns – sei es durch unzählige entwurzelte Menschen, die auch bei uns Schutz suchen oder sei es als Mitmenschen, denen gegenüber wir zu Verantwortung und Solidarität verpflichtet sind. Wenn wir den Frieden wollen, brauchen wir den Internationalismus. Und am 1. Mai ist er so präsent wie kaum je sonst. Sorgen wir dafür, dass der Internationalismus, die Lösung der Probleme aller Menschen und Völker durch Kooperation und Solidarität, Realität wird.
Zu guter Letzt haben wir auch das Ziel der gesellschaftlichen Gleichheit aller Menschen nach wie vor nicht erreicht. Noch immer verdienen Frauen rund 20 Prozent weniger für die gleiche Arbeit als Männer. Es sind Frauen, die an den Herden, Kassen und Putzeimern dieser Welt stehen und einen mieserablen Lohn und kaum Wertschätzung erhalten. Noch beherrschen uns Rollenbilder und Vorurteile und noch immer sind unzählige Menschen auf Grund ihres Geschlechts, ihrer Sexualität oder einer Behinderung unfrei. Auch daran erinnert uns der Tag der Arbeit. Er erinnert uns daran, dass eine erfüllende Arbeit für alle und Solidarität unter den Menschen erste dann erreicht werden kann, wenn wir alle wirklich Gleiche unter Gleichen sind.
Hier, bei diesen uneingelösten Versprechen, müssen wir ansetzen, hier liegt, davon bin ich überzeugt, unsere historische Aufgabe als Erbinnen und Erben des ersten 1. Mais.
Aber auch in der Schweiz haben wir ganz aktuell, ganz zentrale Kämpfe zu führen. Am 18. Mai stimmen wir über eine Initiative ab, die eine Lohnuntergrenze von 4'000 Franken fordert. Damit haben wir real die Möglichkeit der Arbeit für 330'000 Menschen ihren Wert zurück zu geben, weil auch sie davon in Würde leben können. Auch kämen wir der Lohngleichheit ein grosses Stück näher. Es sind primär Frauen, die in Tieflohnbranchen arbeiten und die von der Mindestlohn-Initiative profitieren würden.
Auch am 18. Mai stimmen wir über die Beschaffung des Kampfjets Gripen für rund 10 Milliarden Franken ab. Ein finanzpolitischer Unsinn, gegen den wir uns mit aller Kraft wehren. Wir wehren uns aber auch gegen die Aufrüstung der Schweiz. Wenn wir der dem Ziel der Gründerinnen und Gründer des Tags der Arbeit näher kommen wollen, eine friedliche, zivile Welt, müssen wir alles daran setzen, die Menschen von einem Nein zu dieser korrupten Wahnsinnsbeschaffung zu überzeugen.
Liebe Genossinnen und Genossen, vor 125 Jahren wurde der 1. Mai als Tag der Arbeit offiziell ausgerufen, in einem Jahr feiern wir international sein Jubiläum. In diesen 125 Jahren haben wir viel erreicht. Etwa einen massiven Ausbau der Bürgerinnen und Bürgerrechte, grundlegende Rechte der Lohnabhängigen und eine Reduktion der Arbeitszeit, ein demokratisches Wahlsystem auf nationaler Ebene, Sozialwerke, die früher undenkbar schienen, das Wahl- und Stimmrecht für die Frauen und auf gesetzlicher Ebene das Prinzip der Lohngleichheit, eine massive Schwächung der Armee und damit der militaristischen Ideologie und – und das ist nicht selbstverständlich – wir haben es geschafft stark und aktiv zu bleiben über Generationen hinweg.
Wenn wir heute den Tag der Arbeit feiern, so sollten wir das mit Stolz und Wut tun. Mit Stolz auf das, was wir erreicht haben. Und mit Wut über alles, was uns bis jetzt verwehrt blieb. Mit Wut über die Ungerechtigkeiten, die nach wie vor Bestand haben und die wir ändern müssen.
Ich wünsche uns in diesem Sinne allen einen motivierenden 1. Mai!
Viva el primero de Mayo!